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Es gab einmal Kult- und Quargelhütten am Strich…

Leseprobe aus „Der alte Mann und das Rotlicht“ von ©Freddy Ch. Rabak

Kürzlich spielte es den Oldie „El Lute“ von Boney M. im Radio. Scheinbar schon verstaubte Erinnerungen krochen aus der dunklen Demenz-Ecke meines Schädels, schüttelten sich ab und erweckten scharfe Bilder in den noch intakten Zellen meines Gehirns, was mir eine Zeitreise in die Pratergegend, die wahre Legenden der Wiener Unterwelt schuf, ermöglichte. Gerade dieser Hit fehlte damals kaum in einer Musikbox rund ums Riesenrad.

El Lute, der mit bürgerlichem Namen Eleuterio Sánchez Rodríguez hieß, war ein ehemaliger spanischer Dieb und Gefängnis-Ausbrecher. Heute ist er ein Held, Rechtsanwalt und Autor. Wer noch mehr über sein interessantes und spannendes Leben wissen will: Wikipedia verrät viel. Das Lied über ihn veröffentlichte 1979 Boney M., später wurde es von deutschen Interpreten wie Roland Kaiser, Jonny Hill und Michael Holm gecovert. Es war jedenfalls eines meiner Lieblingslieder in den „guten, alten Prater-Zeiten“ und ein wahrer Renner in vielen Jukeboxes diverser Ganoven-Beiseln im Stuwerviertel. Lokale, die es heute nicht mehr gibt. Wie das „Pony“ beim Messegelände oder die kleine „Milchbar“ wenige Meter nach dem Pferde-Karussel. Auch die vielen Hittn auf der Ausstellungsstraße, wo nicht nur kleine Ganoven verkehrten. Ich denke an das Beisel „Walter“, später „Busch“, zurück, wo ich gerne mit meiner ersten Hure Helga schmuste, heißes Fanta mit Rum soff und die Musikbox mit Hits von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood auf Trab hielt.

„Summerwine“ und „Sand“ waren „unsere“ Lieblinge. Nur wenige Schritte entfernt waren die Beiseln „Fuik“, „Roswitha“ und das etwas seriösere Cafe „Adria“, wo sich hauptsächlich Kartenspieler und Spielerinnen zu einer legalen Partie Schnapsen, Tarock oder Romme trafen.

Wenn ich mich zurück erinnere, war die Ausstellungsstraße auch ein Ort der „etwas anderen Begegnung großer Kaliber“. Von 7,65 bis 9 mm. Besonders gut erinnere ich mich an 1964, als ich am 6. Oktober, dem Geburtstag meiner Mutter, das erste Mal für fast ein Jahr in den Jugendknast eingeliefert wurde.

So schossen in diesem Jahr die zwei damaligen „Bandenbosse“ und „Stoßspiel-Paten“ Josef „Notwehr-Krista“ und Josef „der G’schwinde“ Angerler (35 Vorstrafen) in der Ausstellungsstraße aufeinander: Scheinbar hatten beide Schützen kein „Zielwasser“ mit, denn von den 37 abgefeuerten Schüssen traf nicht eine einzige den jeweiligen Kontrahenten. Die beiden Unterweltgrößen einigten sich schließlich und schlossen einen mehr als wackligen Waffenstillstand. Doch der junge „Ausbrecherkönig“ Heinz Karrer, der nach ganz oben strebte, eröffnete auf der Ausstellungsstraße das Café „Jo-Jo“ und weigerte sich, Angerler Schutzgeld bzw. Prozente vom Stoßspiel zu bezahlen. Der „G’schwinde“ orientierte sich scheinbar an Mafiafilmen – einem Kinogenre, welches das Wiener Milieu stark beeinflusste: Mit gezogener Waffe und einigen Bugln hinter sich ließ er Karrer in seinem Lokal niederknien und demütig um Gnade betteln. Diese Erniedrigung, von der alle Unterweltler und Trabanten bald Kenntnis hatten und die absichtlich verbreitet wurde, wollte sich ein Heinz Karrer nicht gefallen lassen.

Am 7. Oktober 1964 lauerte der „Ausbrecherkönig“ vor einem Café in der Ausstellungsstraße dem G`schwinden auf und feuerte das ganze Magazin seiner Pistole auf ihn ab. Der „Gschwinde“ machte seinem Namen alle Ehre, sprang blitzschnell hinter eine Laterne und schoss seinerseits auf Karrer, der gut gewappnet ein Reservemagazin hatte. 12 Kugeln pfiffen durch die Nacht, es traf aber keine einzige. Dieses „Ich tu Dir nichts und Du tust mir nichts“-Duell könnte im Film „Die nackte Kanone“ mit Leslie Nielsen als Inspiration für eine Szene gedient haben…

Aber der Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten. Angerler holte mit seiner Mannschaft sogar den Feind Krista ins Boot. Sie starteten eine „Straf-Expedition“ gegen den aufrührigen Karrer. Nun waren sich Angerler und Krista schnell einig: Wien und das Glücksspiel sollten zwischen Angerler und Krista aufgeteilt bleiben, ohne einen Dritten im Boot. Da war einfach kein Platz für eine „Dreier-Koalition“, höchstens in einem Sarg. Das Lokal Karrers wurde gestürmt, der aber wehrte sich, ganz und gar nicht furchtsam, auch mit der Pistole. Offensichtlich waren die Schießkünste aller Beteiligten wieder einmal sehr bescheiden: Es wurde, wie gewohnt, bis zur letzten Patrone geschossen, aber, liebe LeserInnen, Sie werden es erahnen: Kein Schuss fand den Weg ins Schwarze. Die „Serenade für drei Pistolen“ endete für Heinz Karrer mit 18 Monaten schwerem, verschärften Kerker samt Fasttagen und hartem Lager, während Krista 10 Monate, vermutlich auf einer Arschbacke, absitzen musste. Der Gschwinde verschwand für zwei Jahre hinter „österreichische Gardinen“. 1968, nach einer Schießerei im Cafe „Kolonitz“ im dritten Bezirk, endete die Herrschaft von Notwehr-Krista und dem Gschwinden. Krista fasste 10 Jahre schweren, verschärften Kerker aus. Er hatte die künftige Schwiegertochter Angerlers gleich mit mehreren Schüssen liquidiert und der „Gschwinde“ wurde durch einen Schuss in den Rücken schwer verletzt. Er bekam vier Jahre Knast, um sich zu erholen. Krista, dem nach einem Treffer sein Fuß amputiert werden musste, verübte 1970 im Gefängnis Selbstmord durch eine Überdosis Tabletten. 1969 teilte ich mit ihm noch eine Zelle im Inquisitenspital -„Adieu Rotlicht-Milieu“- Leser wissen wieder einmal mehr. Josef Angerler starb 1970 in der JVA Stein durch einen Herzinfarkt. Ob der Tod des „Gschwinden“ auch „gschwind“ eintrat? Die einst vielversprechende Karriere des „Ausbrecherkönigs“ und „Stoß-Prinzen“ Heinz Karrer endete 1971 abrupt in Düsseldorf. Er wurde bei einem Einbruch von der Polizei erschossen.

Nach dieser kleinen Chronik kehren wir wieder zu den diversen Spelunken, Beiseln, Quargelhittn und Tschocherln um den Praterstern zurück. Wie dem „Strobel“, wo sich zu meiner Jugend viele alte, ausgediente Huren durch den Verkauf von schwarz/weiß- Pornobildchen über das schon trübe Wasser hielten. Manche Jugendliche, die bei hübschen und jungen Huren Schamgefühle hatten und sich viel Mut angesoffen hatten, fühlten sich oft eher bei den reiferen und erfahreneren Damen wie bei Mutter gut aufgehoben.

Wenn man als Fußgänger vom Strobel die Heinestraße überquerte und in die Kleine Stadtgutgasse einbog, traf man auf die Stoß-Hittn „Traude“. Dort spielte und servierte der kleine, dicke, aber flinke Bogner Rudi, der gerne „Adante“ (Stop) rief, nachdem er die Gläser abgestellt hatte und nach seinem KellnerFleck in der Gesäßtasche griff, um auf eine Karte zu setzen. Auch im „Traude“ floss Blut, als der Hasardeur, Strizzi und spätere Rolls Royce-, Bar-, Lokal- und mehrfache Hausbesitzer Willi Schäffel den „Schmierer“ Pepi Havlicek mit seiner 9mm“Krochn“ erschoß. Havlicek traf zwar bei der Schießerei auch Willi mehrmals, aber mit einer Art von „Spielzeug-“ also einer „Damenpistole“, Kaliber 6,35 mm. Ein etwas nachhaltiger wirkendes Kaliber war der „Partie“ wohl zu teuer. Die Ironie des Schicksals: Er war wie ich Stammgast in Schäffels „Pam Pam“. Wir rauchten auch öfters mal einen Joint zusammen und hatten uns viel zu erzählen.

Unbedingt erwähnenswert auch das kleine Café „Stadion“ gegenüber vom Stundenhotel „Stadion“ in der Stadiongasse. Dort stand lange Zeit die rothaarige „Winnetou“, die „Alte“ von der legendären, gewaltbereiten Zuhälterin „Wanda“. Öfters hielt sie mit Sonnenbrillen Ausschau nach Freiern, weil ihre Augen nicht selten verfärbt und geschwollen waren. Freitag und Samstag spielte im „Café Günther“ auf der Franzensbrückenstraße ein Alleinunterhalter auf seinem Keyboard Lieder, die sein Vorstadt-Publikum liebte. Ein Freund von mir, der „Puskas-Otto“ (er hatte sogar mal bei der Austria gespielt), stach dort einen bekannten Musiker und Sänger nieder, weil der zur falschen Zeit und am falschen Ort gelacht hatte. Nicht über Otto- er hatte einfach zur falschen Zeit und am falschen Ort gelacht. Der Lacher über einen vom Chef Günter erzählten Witz kostete ihn fast das Leben. Otto verschwand für einige Zeit in der Psychiatrie, wo seine Schizophrenie behandelt wurde. Gegenüber vom „Günther“ logierte das nicht ganz ehrenwerte Nachtlokal und Varieté „Club Café“. Der Besitzer war damals der „Zauberer“- er war in seiner Jugend ein talentierter Magier. Für Außenstehende und Gäste war er der „Herr Direktor“ Horst Schmid. Ein Stoß-Spieler, der auch Las Vegas gerne besuchte und vom Flughafen standesgemäß mit einer Stretch-Limousine ins Luxus-Casino- Hotel chauffiert wurde. Das kleine Beisl „Harlekin“ in der Molkereistraße, wo ich einige Zeit als Kellner gearbeitet habe, soll ebenfalls nicht vergessen werden. Ein Treffpunkt von Spezialisten in Sachen Gewalt, Drogen, Betrug, Rotlicht und allen Variationen von Spielen.

Unbedingt erwähnenswert ist auch die unscheinbare „MiniBar“. Dieses winzige Tschocherl war unter der Schnellbahnbrücke am Praterstern untergebracht. Dort, wo der Praterstern in die Hauptallee mündet. Ein Lokal, wo das Lied „El Lute“ von Michael Holm ein wahrer Renner unter den oft mehr als „eingespritzten“ Nachtschwärmern, Absacker- und Fluchtachterl- Liebhaber*innen und polizeilich Gesuchten, die dort strandeten, war. Eine „Brunzhittn“, über der die S-Bahn mit lautem Rattern darüber donnerte. Im schmalen Durchgang zur Hauptallee war eine tagsüber von Schwulen ziemlich stark frequentierte öffentliche Toilette untergebracht.

Weitere illustre Gäste des Lokals waren angesäuselte Bardamen, ängstliche Huren, die oft auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Alten waren, abgefuckte Strizzis und auch Zocker, die auf nicht mehr ganz nüchterne Kundschaft, also auf ein „Wäh“, lauerten. Zusammengefasst: Gäste, die manches, aber auf alle Fälle eines gemeinsam hatten: Hohe Promille- und Fettleber-Werte. Für einen Kellner vom Prater-Gasthaus Neumüller, wo ich 1973, nach der Hochzeit mit meiner ersten Frau Maria, die Hochzeitstafel abhielt, wurde die „Mini-Bar“ zum Sterbekammerl. Der junge Mann spielte 1976 mit dem noch jüngeren Allround-Gauner Walter Schaden mehrere Partien Zenser. Er erkannte trotz seiner „Fettn“ und glasiger Augen, dass er von dem halbwegs nüchternen Walter Schaden mit manipulierten Spielkarten reingelegt wurde und wollte einige hundert Schilling nicht bezahlen. Der Streit eskalierte und schließlich zog Walter seine Kanone. Nach einem lauten Knall verstummte der besoffene Kellner für immer und ewig. Er gab beim von der Kirche erfundenen Himmel-Türsteher sein grünes Gilet und den vollen Kellner-Fleck ab und hofft wahrscheinlich, als Engerl mal wieder Wien zu besuchen.

Walter Schaden wurde wegen Totschlags zu acht Jahren Haft verurteilt. Einige Jahre nach seiner Entlassung wurde er nach einem Streit von einem Freier seiner drogenabhängigen Schwester am Max-Winter-Platz, vor dem Café „Pam Pam“, abgestochen. Wieder forderten ein paar Netsch, also ein, zwei hundert Schilling, ein Menschenleben. Doch diesmal hatte Walter Schaden den Schaden. Fast alle der hier erwähnten Lokale rund um den Praterstern hatten etwas gemeinsam: Es waren mehr oder weniger „Quargel-Hütten“. Tagsüber dösten sie im Schatten des Riesenrades und nachts erwachten sie zum Leben. Und in fast allen Musikboxen des Grätzels hatte in den 70ern „El Lute“ ein Stamm- Platzerl. Wie auch „Summer Wine“…

Pistolen sind doch nicht zum lutschen da….

Ich spielte gerade eine Partie Zensern im Cafè Narziss am Mariahilfer Gürtel …

Mehr Gschichtln gibt es in meinen vier Büchern. Niemand wird heroisiert, nichts und niemand „normalisiert“ . Aber: „Strizzi-Anekdoten“ von Wiens „letzten Praterstrizzi“. Damit niemand aufschreit und alles besser weiß: Der vorletzte Wiener Praterstrizzi 😇😇😊